5.5 PS sind genug?

Im Erstgespräch:
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Dr. Thomas Schulte

Dr. Thomas Schulte ist Rechtsanwalt und Fachautor aus Berlin. Seit 1995 ist die Kanzlei erfolgreich zivilrechtlich schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Internets-, Reputations- und Wettbewerbsrecht tätig. Ich vertrete bundesweit die Interessen einzelner Anleger und arbeite zumeist via Email, Telefon oder Videomeeting für meine Mandanten. Der gute Ruf – Reputationsrecht und Beratung im Internet ist ein Arbeitsschwerpunkt.

Autobetrug: Rechtsstreit vor 120 Jahren, von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt

Die PS Zahl steigt und steigt, früher war man da bescheidener. So stritt man sich vor Gericht um PS Zahlen so um fünf Pferdestärken. Ein interessanter Fall, der die Bedeutung dieser Eigenschaften verdeutlicht, ereignete sich in den frühen 1900er Jahren und führte zu einem umfassenden Rechtsstreit. Im Mittelpunkt stand die Beanstandung der Motorstärke eines Fahrzeugs, das von einer süddeutschen Aktiengesellschaft bei einer Berliner Firma erworben wurde. Dabei galt im Grunde das gleiche Recht wie heute. Bekanntlich ist auch das Bürgerliche Gesetzbuch ungefähr 120 Jahre alt. 

Der Ausgangspunkt: Ein Automobil mit Mängeln

Die süddeutsche Aktiengesellschaft hatte bei einer Berliner Firma ein Automobil bestellt, das mit einem Motor von 5 bis 6 PS ausgestattet sein sollte. Dieser Wert war vertraglich zugesichert, doch schon bald nach der Lieferung zeigte sich, dass der Wagen wiederholt versagte. Die Käuferin warf der Verkäuferin vor, dass der Motor nicht die garantierte Leistung erbringe, sondern lediglich 4,5 PS erreiche. Sie setzte der Verkäuferin eine Frist zur Beseitigung dieses Mangels, doch als diese untätig blieb, zog die Aktiengesellschaft vor Gericht und verlangte die Rückerstattung des Kaufpreises in Höhe von 6.500 Mark.

Die Reaktion der Beklagten: Schikane und Verjährung

Die Berliner Automobilfirma wehrte sich gegen die Klage mit der Behauptung, dass die Käuferin Schikane betreibe und der Anspruch aufgrund der abgelaufenen Gewährleistungsfrist von sechs Monaten verjährt sei. Das Landgericht Berlin gab jedoch der Klägerin recht und urteilte, dass das Fahrzeug nicht die zugesicherten Eigenschaften aufweise und die Verjährung nicht eingetreten sei. Damit war der Weg für die Berufung beim Kammergericht geebnet.

Berufung und Revision: Eine langwierige Auseinandersetzung

Die Berufung der Automobilfirma beim Kammergericht blieb erfolglos. Auch das Kammergericht bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Revision der Beklagten ab. Das Urteil des siebenten Zivilsenats des Reichsgerichts, das auf die Revision der Beklagten hin folgte, beleuchtete mehrere rechtliche Aspekte, die in diesem Fall von Bedeutung waren.

  1. Vereinbarte Motorleistung: Im Vertrag war ein Motor von 5/6 PS vereinbart worden. Bei einer Bremsprobe im Rahmen des Rechtsstreits erbrachte der Motor eine Leistung von 5,18 bis 5,38 PS, im Durchschnitt also 5,25 PS. Das Berufungsgericht erachtete diese Leistung als vertragsgemäß, da sie innerhalb der im Handel üblichen Toleranz lag.
  2. Prüfung bei der Herstellung: Die Klägerin hatte behauptet, der Motor sei bei der Herstellerin geprüft worden und habe nur 4/5 PS erreicht. Sie verlangte die Vorlage des Prüfprotokolls oder die Abgabe eines Editionseids, was das Berufungsgericht jedoch ablehnte. Es argumentierte, dass der Käufer keinen Anspruch auf Unterlagen habe, die der Hersteller in eigenem Interesse erstellt habe.
  3. Beschädigung des Motors: Während der Bremsprobe im Rechtsstreit wurde der Zylinder des Motors beschädigt und musste ersetzt werden. Die Klägerin unterstellte der Beklagten Vorsatz, um das Beweismittel zu vernichten. Das Berufungsgericht sah dies jedoch als unerheblich an und erklärte, dass die Beweislastumkehr gerechtfertigt sei, unabhängig davon, ob die Beschädigung vorsätzlich oder fahrlässig verursacht wurde.
  4. Probefahrt: Bei einer Probefahrt während des Prozesses wurde die vereinbarte Geschwindigkeit erreicht, bei einer früheren Fahrt jedoch nicht. Das Berufungsgericht hielt die Aufzeichnungen der früheren Probefahrt für unzuverlässig, da sie keine genauen Messungen enthielten. Es erachtete das Ergebnis der Probefahrt als unerheblich, da es nicht zwangsläufig auf eine Minderwertigkeit des Motors hinweise.

Fazit: Vertragsmäßigkeit und Beweislast

Dieser Fall zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, dass zugesicherte Eigenschaften eines Fahrzeugs präzise und nachprüfbar im Vertrag festgehalten werden. Die Beweisführung bei Mängeln ist komplex und erfordert oft spezialisierte Gutachten. Ferner verdeutlicht der Fall, dass die Gerichte großen Wert auf die Beweislastverteilung legen und die Vertragsparteien genau darauf achten müssen, ihre Ansprüche innerhalb der festgelegten Fristen geltend zu machen.

Für Käufer und Verkäufer ist es entscheidend, die vertraglichen Vereinbarungen klar und unmissverständlich zu formulieren. Nur so lassen sich spätere Rechtsstreitigkeiten vermeiden oder zumindest erfolgreich bestreiten. In einer Zeit, in der technische Spezifikationen immer komplexer werden, gewinnt die Rechtssicherheit bei solchen Verträgen zunehmend an Bedeutung. Was wir lernen?

  1. Gerade heute sind Datendetektive und Datensicherung notwendig und möglich. Die elektronische Datenspur moderner Automobile ist wichtiges Beweismittel.
  2. Spezielle Regeln des Beweisrechts müssen beachtet werden. Wenn zum Beispiel ausgetauschten Teile verschwinden, gelten Regeln der Beweisvereitelung. Wer Beweise unmöglich macht, haftet.
  3. Zusicherungen von Eigenschaften gelten (auch bei Internetanzeigen).
  4. Rechtsschutzversicherungen sind wichtig.
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