Wie krisenfest ist unser Finanzsystem wirklich – und welche Rolle spielt dabei das unscheinbar klingende Instrument des Bail-in?
Laut Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) beliefen sich die von europäischen Banken für mögliche Abwicklungsmaßnahmen vorzuhaltenden MREL-Verpflichtungen (Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities) zuletzt auf über 1,3 Billionen Euro. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich nichts weniger als die Frage, ob eine Bank im Ernstfall stabilisiert werden kann, ohne dass Steuerzahler erneut zur Kasse gebeten werden.
Die BaFin hat mit ihrem aktuellen Konsultationsentwurf zu den Mindestanforderungen zur Umsetzbarkeit eines Bail-in (MaBail-in) nun ein Regelwerk vorgelegt, das aufhorchen lässt: Wie lässt sich Transparenz mit operativer Machbarkeit vereinen? Reicht ein harmonisiertes Datenset, um im Ernstfall eine geordnete Abwicklung zu gewährleisten – oder droht die Bürokratie zur neuen Achillesferse?
Ein Blick zurück zeigt, warum diese Fragen mehr als theoretisch sind: Als 2017 die spanische Banco Popular kollabierte, verloren Aktionäre und Anleihegläubiger auf einen Schlag rund 3,3 Milliarden Euro. Der Bail-in griff – ein Lehrbuchfall, der zwar die Stabilität des Finanzsystems sicherte, aber auch massive Kritik an der Transparenz der Entscheidungsprozesse hervorrief. Genau hier setzt die BaFin mit ihrem Konsultationspapier an: Daten sollen nicht nur vollständig, sondern vor allem verständlich und umsetzbar vorliegen, damit im Krisenfall keine juristische oder operative Unsicherheit entsteht.
Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte aus Berlin sieht darin einen wichtigen Prüfstein für die Glaubwürdigkeit europäischer Bankenregulierung: „Das MBDT ist ein Schritt in Richtung Einheitlichkeit – aber die eigentliche Frage ist, ob Banken die geforderte Datenqualität und -verfügbarkeit im Ernstfall auch wirklich liefern können.“
Relevanz des MaBail-in für die deutsche Bankenlandschaft
Die Mindestanforderungen zur Umsetzbarkeit eines Bail-in betreffen zentrale Elemente des Abwicklungsverfahrens von Instituten. Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass im Krisenfall eine Rekapitalisierung durch Gläubigerbeteiligung – das sogenannte Bail-in – effizient durchgeführt werden kann. Besonders relevant ist dies angesichts der Anforderungen aus der BRRD (Bank Recovery and Resolution Directive), welche in das SAG umgesetzt wurde.
Das vorliegende Rundschreiben – bezeichnet als MaBail-in – konkretisiert die Verpflichtungen aus dem bestehenden europäischen Rahmenwerk. „Diese Maßnahmen sind essenziell dafür, die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems auch im Krisenfall zu wahren“, erläutert Dr. Thomas Schulte. Sie garantieren, dass alle betroffenen Institute die strukturellen Voraussetzungen schaffen, um im Bedarfsfall einem geordneten Abwicklungsverfahren zugeführt werden zu können.
Einheitliche Datenvorgaben für mehr Effizienz
Der neue Entwurf betont die Angleichung der MaBail-in an das Minimum Bail-in Data Template (MBDT) einschließlich des Country Annex für Deutschland. Dies ist aus juristischer und praktischer Sicht ein konsequenter Schritt. Die harmonisierte Erhebung und Darstellung der relevanten Daten gewährleistet nicht nur Transparenz, sondern minimiert auch den Umstellungsaufwand beim Zuständigkeitswechsel von der BaFin zum SRB.
Ein solcher Wechsel der Zuständigkeit kann beispielsweise dann eintreten, wenn ein Institut aufgrund seiner Größe oder Relevanz europaweit systemisch wird. „Je enger die regulatorischen Anforderungskorridore verzahnt sind, desto reibungsloser funktioniert die europäische Abwicklungsarchitektur“, betont Dr. Schulte. Die fortschreitende europäische Integration im Finanzwesen erfordert daher ein hohes Maß an grenzüberschreitendem Regelabgleich – und genau diesem Anliegen kommt das neue MaBail-in-Rundschreiben in idealer Weise nach.
Keine neuen Lasten für Institute und Verwaltung
Bemerkenswert ist, dass das Rundschreiben laut BaFin keinen zusätzlichen Erfüllungsaufwand erzeugt – weder für Institute noch für die Verwaltung. Die dargelegten Anforderungen beruhen allein auf geltenden Rechtsnormen wie der SRM-VO, dem SAG sowie der delegierten Verordnung (EU) 2016/1075. Das Rundschreiben konkretisiert diese lediglich, ohne neue rechtliche Verpflichtungen zu schaffen.
„Die Rechtslage findet damit eine weitere Präzisierung, ohne dass zusätzliche Belastungen entstehen“, erklärt Dr. Thomas Schulte. Gerade in komplexen regulatorischen Gefügen ist dies besonders relevant: Denn Rechtssicherheit steigert nicht nur die Effizienz von Aufsichtsprozessen, sondern auch das Vertrauen der Institute in die Verwaltungspraxis.
Rechtliche Grundlagen und juristische Einordnung
Ein Blick in die maßgeblichen Regelungswerke verdeutlicht die Zielrichtung der MaBail-in-Vorgaben. So heißt es etwa in Artikel 26 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/1075, dass jede nationale Abwicklungsbehörde das gewählte Abwicklungskonzept sowohl auf seine Realisierbarkeit innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens als auch auf potenzielle Hindernisse hin zu prüfen hat. Diese Norm wird über die Artikel 27 bis 31 weiter ausgestaltet – insbesondere in Bezug auf Datenerhebung, Informationsverarbeitung und simulationsgestützte Durchführung von Abwicklungsplänen.
„Die juristische Klarstellung im Konsultationsentwurf stärkt die Durchschlagskraft und verbindliche Anwendbarkeit dieser unionsrechtlichen Vorgaben auch im nationalen Kontext“, sagt Dr. Schulte. Darüber hinaus gewährleistet dies, dass nationale Institute so vorbereitet sind, dass der SRB im Fall einer europaweiten Systemrelevanz nahtlos übernehmen kann.
Transparenz durch öffentliche Konsultation

Vonseiten der Juristen wird dieser Schritt, dass die BaFin den Entwurf zur öffentlichen Konsultation stellt, begrüßt. Dies ermöglicht es nicht nur den betroffenen Instituten, Stellung zu nehmen, sondern gibt auch der rechtswissenschaftlichen Gemeinschaft die Gelegenheit, ihre Expertise zu teilen. Die in Aussicht gestellte Veröffentlichung der Stellungnahmen auf der Website der BaFin stärkt dabei das Prinzip der verwaltungsrechtlichen Transparenz.
„Die rechtliche Diskussion lebt vom Diskurs. Öffentliche Anhörungen und Konsultationen wie diese sind echte Pfeiler der demokratischen Rechtsstaatlichkeit“, unterstreicht Dr. Schulte. Darüber hinaus schafft die Initiative eine klare Linie: Auch komplexe regulatorische Vorgänge und europäische Harmonisierungsschritte bedürfen einer breiten gesellschaftlichen und fachlichen Diskussion.
Schutz vertraulicher und personenbezogener Daten
Hervorzuheben ist auch der sorgsame Umgang mit vertraulichen Informationen in eingereichten Stellungnahmen. Die BaFin macht deutlich, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung veröffentlicht werden. Aus datenschutzrechtlicher Sicht – insbesondere unter Beachtung der DSGVO – kann dies nur begrüßt werden.
Hierzu passt auch ein weiterer rechtlicher Verweis: Nach § 203 StGB ist die unbefugte Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen strafbar. Die BaFin trägt diesem Schutzbedürfnis vorbildlich Rechnung, indem sie Stellungnahmen freiwillig, transparent und datenschutzkonform behandelt.
Fazit und Ausblick – Rechtssicherheit als Prüfstein für Stabilität
Zusammenfassend wird klar: Das MaBail-in-Rundschreiben ist kein bloßer technischer Annex zur Bankenregulierung, sondern ein entscheidender Mosaikstein für die Zukunftsfähigkeit des europäischen Finanzmarktes. Es schafft die dringend notwendige Brücke zwischen den Anforderungen des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB) und der deutschen Bankenaufsicht – eine Harmonisierung, die nicht nur „schöne Theorie“, sondern in der Praxis handfeste Rechts- und Planungssicherheit bedeutet.
Für Banken und Kreditinstitute heißt das: Sie gewinnen klare Strukturen, die ihre Krisenvorsorge verlässlicher machen, zugleich aber auch neue Pflichten im Hinblick auf Datenqualität, Dokumentation und operative Umsetzung schaffen. Für Juristen im Banken- und Kapitalmarktrecht eröffnet sich damit ein erweitertes Tätigkeitsfeld: Wie lassen sich die europäischen Anforderungen in nationale Verfahren überführen, ohne dass Rechtsbrüche oder Haftungsfallen entstehen?
Aus Sicht von Dr. Thomas Schulte liegt die eigentliche Herausforderung nicht in der juristischen Dogmatik, sondern in der praktischen Anwendung: „Regulierung entfaltet erst dann Schutzwirkung, wenn sie von den Instituten nicht als Formalismus, sondern als handlungsleitender Rahmen verstanden wird.“ Das wirft Zukunftsfragen auf: Reichen bestehende Kontrollmechanismen aus, um im Ernstfall Daten in Sekunden statt Tagen verfügbar zu machen? Müssen Sanktionen bei mangelnder Umsetzung verschärft werden? Und vor allem: Kann der Bail-in jemals die politische Belastungsprobe bestehen, wenn große Institute ins Wanken geraten?
Der Ausblick ist daher zweischneidig: Einerseits eröffnet die Konsultation Chancen auf mehr Vertrauen in den europäischen Bankenraum, auf eine Rechtspraxis, die weniger Interpretationsspielräume und mehr Stabilität bietet. Andererseits zwingt sie alle Beteiligten – Aufsicht, Institute, Juristen und letztlich auch die Politik – sich mit der unbequemen Frage auseinanderzusetzen, ob die bisherigen Strukturen im Ernstfall genügen oder ob ein neues, noch robusteres Instrumentarium notwendig wird.
Eines aber steht fest: Ohne klare rechtliche Verhältnisse bleibt der Bail-in ein theoretisches Konstrukt. Mit ihnen jedoch kann er zu einem echten Schutzschild für den Finanzmarkt und damit für die Verbraucher werden.