Bewerber googlen – Rechtsstreit um Stellenbesetzung: Düsseldorfer Urteil setzt Maßstäbe
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat mit seiner Entscheidung vom 10. April 2024 (Az. 12 Sa 1007/23) eine bedeutende Weichenstellung für den deutschen Arbeitsmarkt vorgenommen. Der Fall betrifft die Ablehnung eines Bewerbers für eine juristische Stelle an einer Universität, wobei datenschutzrechtliche Fragen und die Beurteilung der persönlichen Eignung eine zentrale Rolle spielten.
Das Gericht sprach dem Kläger eine Entschädigung zu, wies allerdings weitere Forderungen zurück. Diese Entscheidung sendet ein klares Signal: Datenschutz darf im Bewerbungsverfahren nicht leichtfertig ignoriert werden, und zugleich bleibt die Beurteilung der persönlichen Eignung eine Entscheidungshoheit des Arbeitgebers.
Eine Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik verdeutlicht, dass Datenschutzverstöße nicht nur rechtliche Folgen haben, sondern auch das Ansehen eines Arbeitgebers erheblich schädigen können. Unternehmen müssen ihre Auswahlprozesse daher überdenken und strikte Maßnahmen ergreifen, um sich rechtlich abzusichern.
Hintergrund des Falls: Eine Bewerbung mit juristischem Nachspiel
Der Kläger, ein erfahrener Volljurist und Fachanwalt für Arbeitsrecht, bewarb sich für eine zeitlich befristete Stelle als Justiziar an einer Universität. Trotz seiner Qualifikationen erhielt er eine Absage. Die Hochschule begründete ihre Entscheidung unter anderem mit einer früheren strafrechtlichen Verurteilung des Bewerbers – ein Urteil, das später vom Bundesgerichtshof aufgehoben wurde. Dies wirft eine wichtige Frage auf: Dürfen frühere rechtliche Verfehlungen, auch wenn sie später revidiert wurden, weiterhin als Auswahlkriterium herangezogen werden?
Brisant war zudem, dass die Universität im Auswahlverfahren eine Internetrecherche über den Bewerber durchführte und dabei Informationen aus einem Wikipedia-Eintrag nutzte. Der Kläger sah darin eine unrechtmäßige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten und eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts. Zusätzlich erhob er den Vorwurf der Diskriminierung.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigt, dass Arbeitgeber immer häufiger digitale Recherchen in ihre Auswahlprozesse integrieren. Diese Praxis kann jedoch unbewusste Vorurteile verstärken und führt in vielen Fällen dazu, dass Kandidaten ohne nachvollziehbare Gründe ausgeschlossen werden.
Das Urteil: Datenschutzverletzung, aber keine Diskriminierung
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschied, dass die Universität gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen hat. Die Hochschule informierte den Bewerber nicht ausreichend über die Verwendung seiner personenbezogenen Daten – ein klarer Verstoß gegen die Transparenzpflichten der DSGVO. Das Gericht sprach dem Kläger deshalb eine Entschädigung von 1.000 Euro zu.
Gleichzeitig verwarf das Gericht den Vorwurf der Diskriminierung. Die Hochschule habe nachvollziehbare Gründe für die Ablehnung gehabt, insbesondere aufgrund der offenen Fragen zur persönlichen Eignung des Bewerbers. „Arbeitgeber dürfen und müssen die persönliche Eignung eines Bewerbers kritisch prüfen. Eine reine formale Qualifikation allein genügt nicht“, so ein Sprecher des Gerichts.
Eine Studie der Universität Mannheim zeigt, dass Arbeitgeber bei der Bewertung persönlicher Eignung oft subjektive Kriterien heranziehen, die schwer objektiv messbar sind. Dies verdeutlicht die Herausforderungen bei der Abwägung von Datenschutz, Gleichbehandlung und berechtigten Auswahlentscheidungen.
Welche Lehren ziehen Arbeitgeber aus diesem Urteil?
1. Datenschutz im Bewerbungsverfahren
- Arbeitgeber müssen Bewerber transparent über die Verarbeitung personenbezogener Daten informieren.
- Heimliche Internetrecherchen können zu Schadenersatzansprüchen führen.
- Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie (SIT) unterschätzen viele Unternehmen die Risiken solcher Recherchen und setzen sich unnötigen Haftungsrisiken aus.
2. Grenzen der persönlichen Eignungsprüfung
- Öffentliche Arbeitgeber dürfen Bewerber anhand ihrer persönlichen und fachlichen Eignung bewerten.
- Eine frühere strafrechtliche Verurteilung kann – selbst wenn sie aufgehoben wurde – Zweifel an der Eignung begründen.
- Die Universität Leipzig zeigt in einer aktuellen Untersuchung, dass Arbeitgeber frühere Fehltritte häufig als Entscheidungshilfe heranziehen. Dies kann jedoch dazu führen, dass Talente vorschnell ausgeschlossen werden.
3. Keine automatische Entschädigung bei Ablehnung
- Nicht jeder Bewerber, der abgelehnt wird, hat Anspruch auf Entschädigung.
- Es muss nachgewiesen werden, dass er die objektiv beste Wahl für die Stelle gewesen wäre und die Ablehnung aus unzulässigen Gründen erfolgte.
- Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass die Nachweispflicht in der Praxis eine erhebliche Hürde darstellt, da viele Personalentscheidungen auf subjektiven Einschätzungen basieren.
Klares Fazit: Sorgfältige Auswahl und transparente Verfahren sind nötig
Das Düsseldorfer Urteil sendet eine klare Botschaft an Arbeitgeber und Bewerber. Datenschutz darf nicht leichtfertig behandelt werden, und Bewerber haben ein Recht auf Transparenz im Auswahlprozess. Gleichzeitig wird bestätigt, dass Unternehmen weiterhin ihre Bewerber sorgfältig prüfen dürfen – jedoch auf rechtlich sicherem Boden.
„Arbeitgeber müssen im Bewerbungsprozess strukturiert und rechtskonform vorgehen, um sich nicht in rechtliche Schwierigkeiten zu bringen“, betont Dr. Thomas Schulte, Experte für Arbeitsrecht. Wer Datenschutzvorschriften ignoriert oder Auswahlkriterien unsauber dokumentiert, riskiert nicht nur Gerichtsverfahren, sondern auch erhebliche Reputationsschäden.
Unternehmen tun gut daran, ihre Rekrutierungsprozesse regelmäßig rechtlich prüfen zu lassen. Faire und transparente Abläufe schaffen nicht nur Sicherheit, sondern stärken auch das Vertrauen von Bewerbern und Mitarbeitern gleichermaßen.