Amtsgericht Hanau – Fahrzeugkauf und Lieferverzug: Wann ist ein Rücktritt gerechtfertigt?
Vor dem Amtsgericht Hanau (bei Frankfurt) beschwerte sich ein Autokäufer darüber, dass er ewig auf sein neues Auto warten sollte. Im Kaufvertrag über einen Neuwagen stand im Kleingedruckten: “Aufgrund der aktuellen Liefersituation werden alle Bestellungen ohne Liefertermin und unverbindlich vorbehaltlich einer Produktion bestätigt.“ Das Gericht gab dem Käufer vollständig recht. Er konnte und durfte zurücktreten (Amtsgericht Hanau vom 31. Januar 2024 (Az. 39 C 111/23)). Der Fall, der sich mit einem Rücktritt von einem Autokaufvertrag aufgrund einer ausbleibenden Lieferung beschäftigte, zeigt, dass die Geduld von Verbrauchern nicht endlos strapaziert werden kann. Damit ist ein Machtwort gesprochen.
Der Fall: Lange Wartezeit ohne Aussicht auf Lieferung
Der Kläger, ein Verbraucher, hatte im Juli 2022 einen Neuwagen bei der Beklagten, einem Autohaus, bestellt. Der Kaufpreis betrug 20.759,88 Euro. Doch was zunächst wie ein gewöhnlicher Kaufvertrag begann, entwickelte sich bald zu einem Geduldsspiel für den Käufer. Der Hersteller des Fahrzeugs konnte aufgrund von Produktionsproblemen und gestörten Lieferketten keinen Liefertermin nennen. Der Verkäufer hatte in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) festgelegt, dass alle Bestellungen ohne verbindlichen Liefertermin und unter Vorbehalt einer Produktion bestätigt würden. Der Kläger erkundigte sich regelmäßig nach dem Stand der Dinge, doch ohne Erfolg, denn unglaublicherweise hatte bis Juni 2023 die Produktion noch nicht einmal begonnen.
Am 16. Juni 2023 setzte der Kläger dem Autohaus eine Frist zur Lieferung bis zum 3. Juli 2023. Als auch diese Frist verstrich, erklärte der Kläger am 12. Juli 2023 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Doch anstatt den Rücktritt anzuerkennen, stellte das Autohaus dem Käufer eine Rechnung über „Stornogebühren“ in Höhe von 3.113,98 €. Der Händler argumentierte, der Kläger sei nicht berechtigt gewesen, vom Vertrag zurückzutreten, da von Anfang an klar gewesen sei, dass es keine verbindliche Lieferfrist gäbe. Im Gegenteil: Der Rücktritt des Käufers sei eine unberechtigte Verweigerung der Abnahme, die Schadensersatzansprüche rechtfertige.
Entscheidung des Gerichts: Unwirksame Klauseln und berechtigter Rücktritt
Das Amtsgericht Hanau gab dem Kläger recht. Es stellte fest, dass dem Käufer sehr wohl ein Rücktrittsrecht zugestanden habe und das Autohaus keinen Anspruch auf die verlangten Stornogebühren habe. Maßgeblich für diese Entscheidung war die Klausel in den AGB des Verkäufers, die besagte, dass Bestellungen aufgrund der aktuellen Liefersituation ohne Liefertermin und unverbindlich bestätigt würden. Diese Klausel wurde als unwirksam erachtet, da sie den Käufer unangemessen benachteilige. Der Verkäufer behielt sich mit dieser Formulierung nämlich vor, die Lieferung des Fahrzeugs auf unbestimmte Zeit zu verschieben – eine Vorgehensweise, die nach deutschem Recht nicht zulässig ist.
Das Gericht argumentierte, dass eine angemessene Frist für die Lieferung eines Fahrzeugs auch bei Lieferschwierigkeiten nicht unbegrenzt sein könne. Obwohl der Händler auf die langen Lieferzeiten hingewiesen hatte, bedeutete dies nicht, dass er sich auf unbestimmte Zeit von seiner vertraglichen Pflicht zur Lieferung befreien konnte. Nach Ansicht des Gerichts lag eine angemessene Wartezeit für die Lieferung des Neuwagens im Bereich von einem Jahr. Da jedoch auch nach 18 Monaten noch keine Aussicht auf eine Fertigstellung des Fahrzeugs bestand, war der Rücktritt des Klägers gerechtfertigt.
Was bedeutet dieses Urteil für Verbraucher?
Das Urteil des Amtsgerichts Hanau ist ein wichtiges Signal an Verbraucher und Händler gleichermaßen. Es macht deutlich, dass Händler sich nicht über Allgemeine Geschäftsbedingungen unendlich viel Zeit für die Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen lassen dürfen. Auch in Zeiten von Lieferkettenproblemen und Produktionsverzögerungen haben Verbraucher das Recht, nach einer angemessenen Wartezeit vom Kaufvertrag zurückzutreten, ohne dafür bestraft zu werden.
Gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Lage, in der viele Branchen mit Verzögerungen und Engpässen kämpfen, gibt das Urteil den Verbrauchern Sicherheit. Wer einen Vertrag über eine noch zu fertigende Ware abschließt, muss nicht endlos warten. Die Angabe einer vagen oder nicht vorhandenen Lieferfrist durch den Verkäufer schützt diesen nicht davor, zur Verantwortung gezogen zu werden, wenn die Lieferung unangemessen lange ausbleibt.
Das vorliegende Urteil zeigt, dass die Frage, wie lange ein Käufer warten muss, stark vom jeweiligen Einzelfall abhängt. Ein Neuwagen ist ein klares Beispiel, da der Käufer oft eine beträchtliche Summe investiert und im Gegenzug eine konkrete Leistung erwartet. Doch ähnliche Situationen können auch in anderen Bereichen auftreten, beispielsweise beim Bau von Immobilien oder bei maßgeschneiderten Möbeln. Die entscheidende Frage ist immer: Wie lange ist die Wartezeit noch zumutbar?
Fazit: Ein Rücktritt ist nicht immer einfach, aber oft gerechtfertigt (ein Jahr Wartezeit ist aber völlig überzogen)
Verbraucher, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie der Kläger im vorliegenden Fall, sollten sich gut überlegen, wie lang sie bereit sind, auf die Erfüllung eines Vertrags zu warten. Ein Rücktritt von einem Kaufvertrag ist nicht immer die einfachste Lösung, kann aber in vielen Fällen der richtige Weg sein, um sich vor weiteren Unannehmlichkeiten zu schützen. Wichtig ist dabei immer, dass der Rücktritt gut begründet ist und die Wartezeit als unangemessen eingestuft werden kann.
Händler wiederum sollten ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen sorgfältig überprüfen und sicherstellen, dass sie rechtlich haltbar sind. Denn wie das Urteil des Amtsgerichts Hanau zeigt: Eine Klausel, die dem Verkäufer zu viel Spielraum lässt, kann schnell als unangemessen und damit unwirksam beurteilt werden. Letztlich profitieren beide Seiten von einer klaren und fairen Regelung, die den Interessen beider Parteien gerecht wird. Jedenfalls war eine Nichtabnahmeentschädigung von 15 % aus Sicht des Gerichts völlig unangemessen. Der Fall zeigt, dass häufig Autoverkäufer in ihrem Kleingedruckten völlig unangemessene Klauseln verstecken, die der Gerechtigkeit zuwiderlaufen. Das betrifft nicht nur Lieferfristen, Strafklauseln, sondern gerade Fragen der Gewährleistung beim Autokauf.