Luxus und Design statt Zweck: Wie Komfortpakete den Autokauf neu definieren. Warum Basis nicht mehr Basis ist – und was das mit Verbraucherschutz, Preispsychologie und rechtlichen Spielräumen zu tun hat.
In den 1980er-Jahren war ein Auto vor allem eines: ein Fortbewegungsmittel. Heute gleicht der Neuwagenkauf zunehmend dem Betreten einer Luxus-Boutique. Sprachassistenten, 360-Grad-Kameras, Massagesitze und digitale Dashboards gehören längst nicht mehr exklusiv zur Oberklasse – sondern werden als „Serienausstattung“ inszeniert. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden 2024 über 2,6 Millionen Neuwagen in Deutschland zugelassen – doch wirklich „einfach“ ausgestattet ist kaum einer davon.
Der Grund liegt nicht im reinen Technikfortschritt, sondern in geschickter Preis- und Produktpolitik. Die klassische Basisversion verschwindet still und leise aus den Konfiguratoren. Stattdessen werden Paketlösungen geschnürt, die unter wohlklingenden Namen wie „Komfortline“ oder „Smart Connect Plus“ hohe Preisaufschläge rechtfertigen – oft ohne echte Wahlfreiheit. Wer es schlicht will, muss zahlen wie für Premium.
Doch ist das noch Markt oder schon Irreführung? Haben Kunden bei irreführender Paketgestaltung ein Widerrufsrecht? Und welche rechtlichen Anforderungen gelten für Preis-Transparenz und Pflichtangaben im digitalen Fahrzeugvertrieb?
Diese Fragen stellen sich nicht nur Verbraucherschützer, sondern auch Juristen wie Dr. Thomas Schulte – denn wenn Auswahl zur Täuschung wird, ist das Auto kein Statussymbol mehr, sondern ein juristisches Minenfeld.
Vom Massenauto zum Statussymbol
Noch vor wenigen Jahrzehnten galten Autos als rein funktionale Fortbewegungsmittel. Heute jedoch hat sich der Neuwagen-Markt in weiten Teilen von dieser nüchternen Sichtweise verabschiedet. Moderne Fahrzeuge kommen serienmäßig mit Infotainment-Systemen, Sprachsteuerung, Sitzheizung oder Abstandshaltern. Was früher der Oberklasse vorbehalten war, ist nun „Basis“ – zumindest in der Werbung.
Doch hinter dieser neuen Normalität steckt mehr als technischer Fortschritt. Die Ausstattung heutiger Fahrzeuge ist oft das Ergebnis strategischer Preispolitik, nicht echter Kundenwünsche. Die klassischen Basisvarianten verschwinden zunehmend, ersetzt durch durchdesignte Varianten mit „Komfortpaketen“, „Technikpaketen“ oder „Premium-Paketen“. Kunden, die ein schlichtes Fahrzeug wünschen, bleiben auf der Strecke – es sei denn, sie zahlen mehr.
Pakete statt Individualität – ein profitables System
Der Jurist Dr. Thomas Schulte, spezialisiert auf Markt- und Verbraucherrecht, spricht hier von „strategisch kalkulierter Margenoptimierung“: „Die Hersteller haben erkannt, dass Individualisierung sich wirtschaftlich nur dann lohnt, wenn sie als teures Extra gebündelt wird. Es geht weniger um Technik, sondern um Umsatz pro Fahrzeug.“
Statt frei wählbarer Einzeloptionen bieten viele Hersteller vordefinierte Ausstattungspakete, in denen nützliche Funktionen wie ein Parkassistent nur zusammen mit Design-Elementen oder Premium-Audiosystemen erhältlich sind. Wer nur ein Feature möchte, zahlt automatisch für viele andere mit – auch wenn diese nicht gebraucht werden.
Studien, unter anderem vom ADAC und der Stiftung Warentest, belegen: Diese Pakete treiben den Fahrzeugpreis im Schnitt um 15 bis 25 Prozent nach oben. Gleichzeitig sinkt die Transparenz – denn die Verbraucher verlieren durch die Paketvielfalt den Überblick über tatsächliche Preis-Leistungs-Verhältnisse.
Rechtliche Grauzonen: Wann wird Marketing zur Irreführung?
Ein Teil der Fahrzeugausstattung ist gesetzlich vorgeschrieben – etwa Assistenzsysteme durch die EU-Verordnung 2019/2144, die ab Juli 2024 für Neuwagen greift. Dazu zählen Notbremsassistent, Rückfahrkamera oder Spurhaltewarner. Viele Hersteller verknüpfen diese Pflichtsysteme allerdings mit optionalem Komfortzubehör, etwa LED-Lichtdesigns oder vernetzte Displays – und schlagen dafür zusätzlich ab.
Verbraucherschützer sehen darin ein Problem: „Wenn gesetzlich vorgeschriebene Funktionen nur im Paket mit anderen, teuren Komponenten erhältlich sind, ist das eine versteckte Preisgestaltung“, warnt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Solche Praktiken könnten gegen das Wettbewerbsrecht (§ 5 UWG) verstoßen, das irreführende Geschäftspraktiken untersagt.
Juristische Konsequenzen? Bisher Fehlanzeige. Die Rechtsprechung bleibt verhalten, obwohl Klagepotenzial besteht. Denn der Beweis, dass ein Käufer durch die Paketstruktur zu einer Entscheidung gedrängt wurde, ist schwer zu führen.
Psychologische Tricks beim Autokauf
Die Verhaltenspsychologie liefert eine Erklärung dafür, warum Kunden bereitwillig Pakete akzeptieren: Der sogenannte „Köderprodukt-Trick“ funktioniert so, dass ein einfaches, preisgünstiges Modell auf der Website dargestellt wird – doch in der Realität ist es nicht verfügbar oder mit langen Lieferzeiten verbunden. Die realen Angebote beginnen dann mit einer höheren Ausstattung, scheinbar attraktiver durch eine lange Liste „serienmäßiger“ Extras.
Kunden erleben so ein gefühltes Upgrade – obwohl der Preis weit über dem ursprünglich angestrebten Budget liegt. Gleichzeitig sorgt der Angebotsdruck (Rabatte, Aktionsmodelle, Restlaufzeiten) für emotionale Entscheidungsmuster. Rationales Vergleichen tritt in den Hintergrund. Der Wunsch nach Sicherheit, Status oder Umweltbewusstsein wird dabei geschickt durch Marketingbegriffe wie „Innovationspaket“ oder „Green Line“ angesprochen.
Die ökologische Schattenseite der Vollausstattung
Mehr Technik bedeutet auch mehr Gewicht – und damit mehr Energieverbrauch. Ein moderner Mittelklassewagen mit vollständiger Ausstattung ist heute oft 200–300 kg schwerer als sein Pendant von vor zehn Jahren. Das bedeutet höhere CO₂-Emissionen, mehr Ressourcenverbrauch in der Produktion und mehr Bremsabrieb im Betrieb.
Ein weiteres Problem: Die steigenden Preise führen dazu, dass viele Haushalte sich keinen Neuwagen mehr leisten können. Der Durchschnitt der Fahrzeugflotte in Deutschland liegt mittlerweile bei 10,3 Jahren – ein Höchstwert. Ältere Fahrzeuge sind weniger effizient, weniger sicher und verursachen höhere Schadstoffwerte. Ein paradoxes Ergebnis: Mehr Ausstattung verhindert Modernisierung.
Politische Fehlanreize: Dienstwagen und Steuerpolitik
Die Steuerpolitik trägt maßgeblich zur Verzerrung des Marktes bei. Dienstwagenmodelle – steuerlich begünstigt – sind häufig besser ausgestattet als privat finanzierte Fahrzeuge. Diese Fahrzeuge prägen das Angebot an Gebrauchtwagen und erhöhen dadurch den Ausstattungsdruck auf dem Gesamtmarkt.
Zudem fördert die derzeitige Kfz-Steuer keine ökologisch sinnvollen Fahrzeugkonzepte. Große SUV mit hoher CO₂-Kompensation durch Plug-in-Hybride zahlen dank Normverbrauchsangabe oft weniger als leichte Fahrzeuge ohne Hybridkomponenten. Die reale Umweltbelastung wird dabei nicht erfasst.
Reformideen: Transparenz und Wahlfreiheit schaffen
Es braucht ein Umdenken in Politik und Industrie. Experten fordern:
-
Eine CO₂-basierte Steuerreform, die tatsächliche Emissionen und Fahrzeuggewicht berücksichtigt
-
Eine Förderung für leichte, effiziente Fahrzeuge unabhängig von der Antriebsart
-
Die Einführung modularer Preissysteme statt festgelegter Ausstattungspakete
-
Klare Regeln für digitale Nachrüstlösungen („Functions on Demand“), inklusive Transparenz bei Preis und Laufzeit
„Es darf nicht sein, dass ein einfacher Tempomat nur als Teil eines 4.000-Euro-Pakets erhältlich ist“, meint Dr. Schulte. „Gerade in einem digitalen Zeitalter erwarten Kunden nachvollziehbare, individuelle Optionen – keine starre Paketpolitik.“
Digitale Lösungen: Zwischen Innovation und Abo-Falle
Viele Hersteller setzen künftig auf sogenannte „Functions on Demand“. Das bedeutet: Fahrzeugfunktionen wie Sitzheizung oder Fernlichtassistent sind ab Werk verbaut – aber erst durch eine digitale Aktivierung gegen Gebühr nutzbar. Diese Strategie bietet Flexibilität für den Hersteller und Kunden, birgt aber auch Risiken.
Kritiker sehen darin den Weg zu Abo-Modellen, bei denen Komfortfunktionen monatlich abgerechnet werden. Die Folge: Kein langfristiger Besitz, sondern wiederkehrende Kosten. Für Kunden wird der Kaufpreis undurchsichtig – Preisvergleiche zwischen Fahrzeugen sind kaum möglich.
Fazit: Luxus ohne Wahlfreiheit ist kein Fortschritt
Was als Komfort verkauft wird, ist in vielen Fällen ein ausgeklügeltes Vertriebssystem zur Gewinnmaximierung. Gesetzliche Anforderungen, psychologische Verkaufsstrategien und mangelnde Transparenz erschweren eine wirklich informierte Kaufentscheidung.
Die Basisautos von früher – schlicht, preiswert und individuell konfigurierbar – sind nahezu verschwunden. An ihre Stelle treten Fahrzeuge, deren Serienausstattung luxuriös wirkt, deren Preisstruktur jedoch zunehmend Intransparenz und Abhängigkeit schafft.
Der Appell an Verbraucher:
Informieren, vergleichen und kritische Fragen stellen.
Nur wer versteht, wie Ausstattungspakete und digitale Nachrüstungen funktionieren, kann kostenbewusst und nachhaltig entscheiden.