Holger Schuhmann aus Wuppertal möchte einen BMW 5 beim Händler kaufen. Alltäglich, aber schon seit 120 Jahren beschäftigen sich Gerichte mit dieser Art von Testfahrt. Eine Testfahrt vor dem Kauf eines Fahrzeugs ist oft der entscheidende Schritt, um sich von den Eigenschaften eines Fahrzeugs zu überzeugen. Dabei stellen sich jedoch zahlreiche rechtliche Fragen zur Haftung, zum Versicherungsschutz und zur Nutzung des Fahrzeugs. Der folgende Text behandelt diese Aspekte, erläutert die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und stellt die aktuelle Rechtsprechung vor.
Zweck und Rechtsnatur der Testfahrt
In der Praxis dient die Testfahrt dazu, die Fahr- und Gebrauchseigenschaften eines Fahrzeugs kennenzulernen, ohne dass der Händler eine rechtliche Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung eingeht. Nach § 2 Nr. 23 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) ist eine Testfahrt eine Fahrt zur Feststellung der Gebrauchsfähigkeit eines Fahrzeugs. Händler können dafür Kurzzeit- oder rote Kennzeichen verwenden, wodurch der rechtliche Rahmen der Probefahrt weitgehend vorgegeben ist. Grundsätzlich ist die Nutzung des Fahrzeugs im Geschäftsinteresse des Händlers und damit eine Gefälligkeit mit rechtlich relevanten Verpflichtungen (BGH, Urteil vom 18.02.1964, VI ZR 260/62).
Vertragsgestaltung und rechtliche Einordnung
Die Testfahrt erfolgt oft auf Grundlage eines sogenannten Probefahrtvertrags, der vor Fahrtantritt zwischen Händler und Interessent abgeschlossen wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat festgestellt, dass ein solcher Vertrag in der Regel kein Leihvertrag ist, da er im Interesse beider Parteien liegt und nicht allein im Interesse des Probefahrers (BGH, Urteil vom 21.05.1968, VI ZR 131/67). Die vorvertragliche Haftung gemäß § 311 Abs. 2 BGB kann jedoch greifen, wenn die Testfahrt als Geschäftsgelegenheit mit wechselseitigen Interessen verstanden wird. So kann der Händler etwa von einer Haftungsbeschränkung profitieren, während der Interessent bei Fahrlässigkeit dennoch zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Versicherungsumfang und Pflichten des Händlers
Eine Testfahrt birgt das Risiko von Unfällen oder Schäden. Die Haftung für solche Schäden hängt stark vom Versicherungsschutz des Fahrzeugs ab. Händler sind grundsätzlich verpflichtet, den Probefahrer über den bestehenden Versicherungsschutz zu informieren, insbesondere wenn dieser eingeschränkt ist. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main im Fall eines gestohlenen Fahrzeugs, bei dem der Händler eine Aufklärungspflicht über den eingeschränkten Versicherungsschutz verletzt hatte und dem Käufer Schadensersatz leisten musste (OLG Frankfurt, Urteil vom 13.10.1995, VersR 1997, 1107).
Deckungslücken und Haftungsfragen
Die typische Kfz-Versicherung deckt oft keine Schäden bei missbräuchlicher Nutzung ab. Auch sind Schäden durch grobe Fahrlässigkeit vom Versicherungsschutz häufig ausgenommen, hauptsächlich wenn der Probefahrer wesentliche Sicherheitsregeln missachtet (BGH, Urteil vom 22.06.2011, IV ZR 225/10). Ist der Versicherungsschutz fraglich oder fehlen ausreichende Deckungssummen, muss der Händler den Interessenten darüber aufklären. Unterbleibt diese Aufklärung, kann der Händler für Schäden des Probefahrers haften.
Haftung bei leichter Fahrlässigkeit
Ein häufiges Problem ist die Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit des Probefahrers. Bei leichter Fahrlässigkeit besteht in der Regel ein stillschweigender Haftungsausschluss zugunsten des Probefahrers, da er berechtigterweise davon ausgehen darf, dass leichte Fehler toleriert werden (BGH, Urteil vom 07.06.1972, VIII ZR 35/71). Dies gilt besonders dann, wenn die Unfallursache in der Unerfahrenheit des Probefahrers liegt und typische Risiken des Testens neuer Fahrzeuge betrifft, etwa das Abbremsen in unerwarteten Fahrsituationen.
Grobe Fahrlässigkeit und Haftungsausschluss
Bei grober Fahrlässigkeit entfällt die Haftungsprivilegierung zugunsten des Probefahrers. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Probefahrer in schwerwiegender Weise gegen die Verkehrssorgfaltspflicht verstößt (BGH, Urteil vom 10.02.2009, VI ZR 28/08). Beispielsweise wurde ein Testfahrer, der in einer scharfen Kurve mit 180 km/h von der Fahrbahn abkam, als grob fahrlässig beurteilt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.1993, OLGR 1994, 148).
In der Praxis führen Autohäuser zunehmend Selbstbeteiligungsklauseln ein, um dem Kunden eine Eigenverantwortung bei Schäden nahezulegen. Solche Klauseln sind rechtlich zulässig, wenn der Interessent vorher auf die Kostenfolge hingewiesen wird (AG Krefeld, Urteil vom 14.09.2001, 78 C 473/00).
Sonderfälle und Eigenverschulden des Händlers
Der Händler kann in Mithaftung genommen werden, wenn er das Fahrzeug ohne angemessene Vorsichtsmaßnahmen übergibt, etwa an einen unerfahrenen Fahrer. Nach § 254 Abs. 1 BGB kann die Ersatzpflicht des Kunden gekürzt werden, wenn der Händler mit grober Nachlässigkeit zur Risikovermeidung beigetragen hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.1967, DAR 1967, 323).
Unterschlagung des Fahrzeugs
Wenn ein Interessent das Fahrzeug während einer unbegleiteten Probefahrt unterschlägt oder stiehlt, handelt es sich nicht um ein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB, sondern um einen freiwilligen Besitzverlust des Händlers. Dadurch ist ein gutgläubiger Erwerb durch Dritte möglich, und der Händler kann das Fahrzeug vom Käufer nicht zurückfordern (BGH, Urteil vom 18.09.2020, V ZR 8/19). Diese Rechtslage birgt erhebliche Risiken für den Händler, da er oft keine Rückforderungsmöglichkeiten hat.
Verjährung von Schadensersatzansprüchen
Ersatzansprüche des Händlers wegen Veränderungen oder Verschlechterungen des Fahrzeugs verjähren gemäß analoger Anwendung des § 548 Abs. 1 BGB nach sechs Monaten ab Rückgabe des Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 21.05.1968, VI ZR 131/67). Die kurze Verjährungsfrist umfasst auch Totalschäden und greift selbst dann, wenn der Schaden erst später entdeckt wird. Eine dreijährige Regelverjährung gilt nur bei vollständiger Zerstörung des Fahrzeugs.
Beispielhafte Fallkonstellation
Herr Holger Schuhmann, ein Interessent, möchte ein neues Fahrzeug Probe fahren. Der Händler erklärt ihm, dass das Fahrzeug vollkaskoversichert sei, jedoch ohne weitere Details zur Höhe der Selbstbeteiligung. Während der Testfahrt verliert Herr Schuhmann bei regennasser Fahrbahn die Kontrolle über das Auto und prallt gegen einen Baum. Da er die Geschwindigkeit nicht an die Witterungsbedingungen angepasst hatte, stuft der Versicherer sein Verhalten als grob fahrlässig ein und verweigert die Leistung. Herr Schuhmann wird aufgefordert, die vollen Reparaturkosten zu übernehmen.
Die Haftungsfrage stellt sich nun, da Herr Schuhmann in der Annahme gefahren ist, voll versichert zu sein. In einem solchen Fall könnte der Händler aufgrund mangelnder Aufklärung über die genaue Selbstbeteiligung haftbar gemacht werden. Zudem wird geprüft, ob eine Kürzung der Haftung nach § 254 BGB möglich ist, weil der Händler das Risiko durch fehlende Aufklärung erhöht hat.