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Versicherungsaufsicht im Wandel: Fokus auf KI und Kapitalanlagen

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Versicherungsaufsicht im Wandel- Fokus auf KI und Kapitalanlagen - ABOWI Law

Künstliche Intelligenz, Kapitalanlagen und neue Kontrollmechanismen – was Versicherer erwartet, wenn die Aufsicht digital aufrüstet.

Von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin

Wo stehen wir, wenn die Versicherungsaufsicht beginnt, Algorithmen zu prüfen? Und was heißt es konkret, wenn die BaFin künftig nicht nur Solvabilität, sondern auch KI-basierte Entscheidungsprozesse und dynamische Kapitalanlagestrategien ins Visier nimmt?

Die Rede von Julia Wiens, Exekutivdirektorin der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der BaFin, gehalten am 14. Mai 2025 an der Universität Düsseldorf, war weit mehr als ein fachlicher Lagebericht. Sie war ein strategisches Signal – und eine klare Aufforderung zum Umdenken. Denn die Zeiten, in denen Versicherungsunternehmen sich auf stabile Produktzyklen, klassische Kapitaldeckung und regulatorische Bestandsprüfungen verlassen konnten, sind endgültig vorbei.

Was bedeutet das für die Branche? Müssen künftig auch neuronale Netze aufsichtsrechtlich interpretierbar sein? Und wie lassen sich volatile Kapitalmarktprodukte und automatisierte Entscheidungsprozesse rechtssicher verbinden? Als Rechtsanwalt stellt Fragen rund um die regulatorischen Weichenstellungen und der Frage: Wie viel Digitalisierung verträgt das Aufsichtsrecht – und wie viel Regulierung verträgt die Innovation?

Die Antworten darauf werden nicht nur die nächste Prüfungsrunde bestimmen, sondern auch die künftige Stabilität und Legitimität des gesamten Versicherungssektors.

Alternative Kapitalanlagen: Chancen und Risiken aus Sicht der Aufsicht

Die zunehmende Durchdringung des Marktes durch alternative Kapitalanlagen wie Private Debt stellt für Versicherungsunternehmen sowohl eine Herausforderung als auch eine strategische Diversifikationsmöglichkeit dar. Die BaFin macht jedoch sehr deutlich, dass diese Formen der Kapitalanlage nicht den traditionellen Regularien klassischer Anlageklassen wie Anleihen oder Aktien unterliegen. Damit wächst der Druck auf ein adäquates Risikomanagement innerhalb der Unternehmen.

„Unternehmen mit einem hohen Anteil in alternativen Kapitalanlagen brauchen ein leistungsstarkes Risikomanagement“, Zitat von Julia Wiens. Als Jurist erkenne ich in dieser Aussage eine klare Mahnung: Im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) insbesondere nach § 23 und § 25 VAG sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, ein „wirksames Risikomanagement-System“ vorzuhalten. Dieses System muss alle quantitativen und qualitativen Risiken angemessen identifizieren, messen, überwachen, steuern und berichten.

Das zunehmende Engagement in weniger regulierten Anlageformen wie Private Debt kann, wie auch in der Rede betont, mit höheren Ausfallrisiken einhergehen – nicht zuletzt aufgrund der trüben wirtschaftlichen Gesamtlage. Als Jurist sehe ich hier eine deutliche Aufforderung an die Versicherer, ihre Investitionsentscheidungen nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch aufsichtsrechtlich permanent zu begleiten. Besonders hervorzuheben ist der Verweis auf die personelle Ausstattung der Unternehmen mit ausreichendem Know-how. Dies lässt sich auch unmittelbar aus § 24 Abs. 1 Nr. 1 VAG ableiten, wonach die Zuverlässigkeit und fachliche Eignung der Geschäftsleiter sicherzustellen ist.

Künstliche Intelligenz im Versicherungswesen: Zwischen Innovation und Regulierung

Der zweite Schwerpunkt in der Rede von Julia Wiens – die Künstliche Intelligenz (KI) – verdeutlicht den Stellenwert technologischer Entwicklungen innerhalb der Versicherungsbranche. Fast alle Unternehmen nutzen laut Wiens inzwischen KI, etwa zur Prozessautomatisierung oder für Kostenreduktionen. Auch hier zeigt die BaFin ihre Doppelfunktion als Ermöglicherin und Kontrolleurin. Die Balance zwischen Innovationsförderung und regulatorischer Sicherheit ist dabei ein äußerst sensibles Unterfangen.

Aus Sicht des Juristen ist insbesondere der Aspekt der diskriminierungsfreien Anwendung von Algorithmen von zentraler Wichtigkeit. Hochautomatisierte Prozesse, die eine unzureichende menschliche Überwachung aufweisen, können – wie Wiens betont – bestehende Diskriminierungsrisiken verschärfen. Dies verleiht dem Thema der „algorithmischen Fairness“ eine neue aufsichtsrechtliche Relevanz.

Im Licht der DSGVO, insbesondere in Bezug auf Art. 22, ergibt sich daraus, dass betroffene Personen bei automatisierten Entscheidungen, die rechtliche Wirkung entfalten, ein Recht auf menschliches Eingreifen und Überprüfung haben müssen. Die Forderung der BaFin nach „angemessener Governance“ ist daher aus juristischer Perspektive konsequent und notwendig. Eine fehlende Governance kann nicht nur regulatorisch, sondern auch zivilrechtlich problematisch werden, beispielsweise bei Haftungsfragen gegenüber geschädigten Versicherungsnehmern.

Wohlverhaltensaufsicht: Transparenz und Kundennutzen im Zentrum

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die deutliche Ausweitung der Wohlverhaltensaufsicht. Die BaFin nimmt sich dabei nicht nur der kapitalbildenden Lebensversicherungen an, deren Nutzen für den Kunden immer wieder kritisch hinterfragt wird, sondern plant, künftig auch andere Versicherungsbereiche wie Sach- und Unfallversicherungen intensiver zu beleuchten. Die in den Fokus gerückten hohen Stornoquoten können als Indikator mangelnder Kundenzufriedenheit oder fehlerhafter Produktgestaltung interpretiert werden.

Nach meiner langjährigen Erfahrung im Versicherungsvertragsrecht lässt sich dies im Kontext von § 1a VVG („Wahrung der Interessen des Versicherungsnehmers“) interpretieren. Auch nach § 6 VVG besteht für den Versicherer die Pflicht, den Kunden rechtzeitig, umfassend und verständlich über seine Rechte und Pflichten zu informieren. Ein Verstoß gegen diese Informationspflichten kann zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen.

Julia Wiens betont, dass die BaFin an einem Konzept arbeitet, um die Wohlverhaltensaufsicht auf andere Versicherungssparten auszuweiten. Dies dürfte in der Praxis eine noch stärkere Fokussierung auf faire Vertragsgestaltung, transparente Prämienberechnung und nachvollziehbare Produkte nach sich ziehen. Als Rechtsanwalt sehe ich hier auch eine erhebliche Relevanz für gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Versicherungsnehmern und Versicherern – insbesondere im Hinblick auf die Beweislastverteilung bei intransparenten Klauseln.

Bürokratieabbau und Solvency II: Aufsichtsrecht im Wandel

Ein lobenswerter Aspekt der Rede betrifft den Bürokratieabbau – ein Ziel, das angesichts der wachsenden regulatorischen Komplexität vielfach gefordert, aber selten konsequent umgesetzt wird. Julia Wiens gibt zu, dass Bürokratieabbau schwer umzusetzen sei und sich häufig in kleinen Maßnahmen niederschlägt. Dennoch betont sie, dass man im Rahmen der europäischen Solvency-II-Überarbeitung eigene Vorschläge zur Reduktion von Berichtspflichten eingebracht habe.

Als Jurist erkenne ich in der Solvabilitätsanforderung nach Solvency II, besonders in Artikel 101 ff. der Richtlinie 2009/138/EG, einen Ankerpunkt für effektive Finanzaufsicht. Die Vorgaben dienen der stabilen Solvenz von Versicherungsunternehmen. Dennoch ist nachvollziehbar, dass überbordende Pflichten gerade kleinere Versicherer stark belasten. Die Suche nach dem richtigen Maß – also eine Risikoadäquanz der Berichts- und Kapitalanforderungen – ist daher ein begrüßenswerter Ansatz.

Auch im nationalen Recht spiegeln sich diese Inhalte wider. Das VAG wurde im Zuge von Solvency II umfassend angepasst, insbesondere die Paragraphen zum Eigenmittelbedarf (§ 88 VAG ff.) sowie zur Governance und Berichterstattung. Als juristischer Berater beobachte ich mit Interesse, ob und wie sich die neuen Vorschläge konkret auf die Berichtspraxis der Versicherer auswirken werden.

Schlussfolgerungen: Die Rechtslandschaft der Versicherungen im Umbruch

Die vorgenannten Themen zeigen deutlich, dass die Versicherungsaufsicht der BaFin sich im strukturellen Wandel befindet. Versicherungsunternehmen müssen heute nicht nur ihre traditionellen Geschäftsmodelle neu justieren, sondern auch rechtlich belastbare Systeme zur Risikosteuerung entwickeln. Insbesondere bei der Nutzung neuer Technologien wie der KI ist es erforderlich, ethische und rechtliche Standards zu etablieren, an denen sich nicht nur die BaFin, sondern auch die Gerichte orientieren werden.

Die umfassende Bedeutung der Wohlverhaltensaufsicht weist gleichzeitig auf ein wachsendes Verbraucherinteresse hin, fair beraten und behandelt zu werden. So mag aus rechtlicher Sicht ein neues Gleichgewicht der Kräfte entstehen, das nicht nur präventiv durch die BaFin, sondern reaktiv auch durch Gerichte kontrolliert wird. Schließlich steht – rechtlich wie wirtschaftlich – der Schutz des Versicherungsnehmers im Mittelpunkt aller regulatorischen Bemühungen.

Abschließend ist festzuhalten, dass die in der Rede behandelten Themen nicht nur technischer oder wirtschaftlicher Natur sind, sondern tiefgreifende juristische Implikationen mit sich bringen. Versicherungsrecht und Kapitalmarktrecht gehen hier Hand in Hand. Deshalb wird es künftig immer wichtiger, interdisziplinär zu denken – juristisch sauber, wirtschaftlich tragfähig und ethisch vertretbar.

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Dr. Thomas Schulte

Dr. Thomas Schulte ist Rechtsanwalt und Fachautor aus Berlin. Seit 1995 ist die Kanzlei erfolgreich zivilrechtlich schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Internets-, Reputations- und Wettbewerbsrecht tätig. Ich vertrete bundesweit die Interessen einzelner Anleger und arbeite zumeist via Email, Telefon oder Videomeeting für meine Mandanten. Der gute Ruf – Reputationsrecht und Beratung im Internet ist ein Arbeitsschwerpunkt.

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