Omnibus-Paket: Regulierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Braucht der Finanzmarkt wirklich immer neue Berichtspflichten – oder endlich mehr Klarheit, Transparenz und Konsistenz? Und wie gelingt der Spagat zwischen wirksamer Kontrolle und praktischer Umsetzbarkeit in einer Branche, die längst unter Regulierungsdruck ächzt?
Die Entwicklungen im Finanzmarkt- und Bankaufsichtsrecht nehmen rasant an Fahrt auf. Allein in den letzten fünf Jahren hat sich das europäische Regelwerk zu Transparenz- und Berichtspflichten mehr als verdoppelt – laut einer Studie der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) sind die Compliance-Kosten für Banken seit 2018 um durchschnittlich 30 % gestiegen. Besonders das Thema Nachhaltigkeit sorgt für zusätzlichen Druck: Verbraucher und Investoren fordern nachvollziehbare Informationen, während Institute den bürokratischen Aufwand als immer schwerer tragbar empfinden.
Genau hier setzt das sogenannte Omnibus-Paket an: Es soll Berichtspflichten im Bereich ESG (Environmental, Social, Governance) einerseits vereinfachen, andererseits aber auch strenger kontrollierbar machen. Die BaFin nimmt damit eine Schlüsselrolle ein. Doch wie weit darf nationale Aufsicht gehen, ohne den europäischen Gleichklang zu gefährden? Und wie verhindern wir, dass Nachhaltigkeit am Ende zum bloßen Regulierungshaken wird?
Für Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin, ist klar: Hinter der nüchternen Konsultation eines neuen Rundschreibens steckt weit mehr. Es ist ein juristischer Stresstest für die gesamte Branche – und zugleich ein Weckruf, sich mit den eigentlichen Zielen auseinanderzusetzen: Klarheit, Konsistenz und Vertrauen. Nicht ohne Grund mahnt BaFin-Exekutivdirektor Rupert Schaefer: „Die Ansätze sind gut, doch es brauche mehr Klarheit und Konsistenz.“
Die entscheidende juristische Frage lautet: Kann ein immer komplexeres Regelwerk wirklich den Verbraucherschutz stärken – oder droht es, Banken und Investoren gleichermaßen in einem Dickicht aus Paragraphen und Pflichten zu verlieren?
Regulierung in der Transformation – Weg von der Regelungsflut
Die Finanzwelt hat über die letzten zwei Jahrzehnte eine exponentielle Zunahme regulatorischer Anforderungen erlebt. Diese historische Entwicklung wurde durch die Finanzkrisen und neue politische Erwartungen gesteuert, die insbesondere Stabilität, Integrität und Nachhaltigkeit in das Zentrum rückten. Paragraph für Paragraph wuchs ein komplexes Gebilde, das nicht nur Großbanken, sondern auch kleinere Finanzdienstleister zunehmend überforderte.
Rechtliche Unsicherheiten und widersprüchliche Pflichten waren die unglücklichen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung. An dieser Stelle erweist sich das Omnibus-Paket als richtungsweisend. „Es geht um Vertrauen durch Nachvollziehbarkeit“, erklärt Dr. Thomas Schulte. Jedes Gutachten in meiner Kanzlei beginnt mit der Frage: Entspricht die Vorschrift dem Grundsatz der Rechtsklarheit gemäß Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz?
Nachhaltigkeit als neue Dimension des Aufsichtsrechts

Ein zentraler Aspekt des neuen Rundschreibens ist das Thema Nachhaltigkeit. Besonders im Spannungsfeld zwischen Berichtspflichten, ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) und praktischer Umsetzung stehen viele Finanzdienstleister vor einem Dilemma. Die Regulierung verlangt umfassende Daten, konkrete Bewertungen und langfristige Planung – doch fehlt es häufig an standardisierten Interpretationen.
„Nachhaltigkeit darf nicht zur Floskel verkommen“, erläutert Dr. Schulte, wenn Mandanten nachhaltige Investmentstrukturen prüfen lassen wollen. Vielmehr sei das ESG-Reporting eine rechtliche Verpflichtung, die sowohl aus europäischem Recht – u.a. der Offenlegungsverordnung (EU) 2019/2088 – als auch aus nationalen Regelungen wie dem Kreditwesengesetz entsteht.
Klare Rundschreiben wie das aktuell zur Konsultation stehende Dokument der BaFin werden hier als „interpretationsleitend“ wahrgenommen – ein Begriff, den auch die Gerichte nutzen, um sogenannte Verwaltungsvorschriften von verbindlichen Normen abzugrenzen. Im juristischen Alltag jedoch sind diese Dokumente enorm hilfreich.
Der Vorstoß der BaFin in der Praxis
Rupert Schaefers Ruf nach mehr Konsistenz darf nicht überhört werden. Instituten fehlt oftmals ein verlässlicher Rahmen – nicht, weil dieser regulatorisch nicht vorhanden wäre, sondern weil er nicht eindeutig formuliert ist. Das neue Rundschreiben verspricht genau hier eine Vereinfachung: weniger formale Wiederholungen, mehr Konzentration auf inhaltliche Kernaussagen. Spezialisierte Rechtsanwälte, die täglich mit Prüfungsberichten zu tun haben, erkennen rasch: Vereinfachungen fördern die Rechtsdurchsetzung. Denn dort, wo Begriffe wie „Transparenz“, „Kohärenz“ oder „Verhältnismäßigkeit“ konkretisiert werden, sinkt das Risiko von Missverständnissen.
Verbraucherschutz bleibt Herzstück behördlicher Maßnahmen
Trotz aller Fortschritte in der Regulierung darf die zentrale Rolle des Verbraucherschutzes nicht in den Hintergrund treten. Die BaFin bleibt dem Grundsatz verpflichtet, das Vertrauen der Bevölkerung in das Finanzsystem zu wahren und zu stärken. Der Zugang zu Informationen über laufende Ermittlungen, Warnungen und Hinweise auf finanzielle Risiken ist daher weiterhin ein wichtiger Pfeiler der behördlichen Kommunikation.
„Betroffene Mandanten, die Opfer zweifelhafter Finanzprodukte wurden, ist der Rückgriff auf BaFin-Datenbanken mitunter entscheidend, um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche fundiert durchzusetzen“, so Dr. Schulte. Das Informationsrecht der Verbraucher, verbrieft in Paragraph 34 BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) und unterstützt durch die Transparenzverordnung der BaFin, ist ein wichtiges Werkzeug zur Selbstverteidigung auf einem unübersichtlichen Markt.
Was bedeutet die Konsultation für die Zukunft des Finanzmarktes?
Für Juristen ist die laufende Konsultation des Rundschreibens weit mehr als eine bloße Formalie. Sie ist ein rechtspolitisches Signal – ein Hinweis darauf, dass die Aufsichtsbehörden in Deutschland und Europa die Notwendigkeit erkannt haben, die Balance zwischen strenger Kontrolle und praktikabler Umsetzung wiederherzustellen. Nach Jahren der Überregulierung mit doppelten Berichtspflichten, unklaren ESG-Vorgaben und widersprüchlichen Auslegungshilfen scheint ein Wendepunkt erreicht.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut einer Umfrage der European Banking Authority (EBA) geben europäische Banken inzwischen im Durchschnitt 10 % ihrer Gesamtkosten für Compliance und Regulatorik aus – Tendenz steigend. Im Bereich der ESG-Berichterstattung berichten 72 % der Institute, dass sie durch Überschneidungen in den EU-Offenlegungspflichten (Taxonomie-Verordnung, SFDR, CSRD) mehrfach identische Daten aufbereiten müssen, ohne dass der Mehrwert für Anleger erkennbar wäre. Genau hier setzt die Konsultation an: Die Zeit der Symbolregulierungen könnte einem Kapitel weichen, in dem Effizienz, Rechtsklarheit und Zielorientierung im Mittelpunkt stehen.
Doch damit steigt auch die Verantwortung für die Rechtsvertreter von Banken, Fonds und Investmenthäusern erheblich. Sie sind gefordert, die neuen Vorgaben nicht nur formal zu erfassen, sondern rechtssicher zu implementieren und strategisch nutzbar zu machen. Das bedeutet: interne Prozesse anpassen, Berichtspflichten in eine konsistente Governance-Struktur einbinden und dabei die Schnittstellen zwischen nationalem Recht, europäischem Aufsichtsrahmen und internationalen Standards präzise beachten.
Die Kernaufgabe lautet also nicht mehr nur „Compliance um der Compliance willen“, sondern: Wie lässt sich Regulierung so umsetzen, dass sie Rechtsklarheit schafft, Haftungsrisiken minimiert und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit sichert?
Schlussbetrachtung: Sicherheit durch rechtliche Klarheit
Die Konsultationen der BaFin sind weit mehr als ein bürokratischer Akt, sie sind ein Lackmustest für den Zustand unserer Finanzordnung. Sie zeigen, dass Aufsicht nicht im Elfenbeinturm entsteht, sondern den Dialog mit Praxis und Recht sucht. Dieser Prozess mag nicht perfekt sein, er ist manchmal zäh, manchmal voller Widersprüche – aber er ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Rechtsklarheit.
Gerade in einem Umfeld, in dem Verbraucher täglich mit Milliardenbeträgen vertrauen, Banken um Reputation und Stabilität ringen und die Politik wachsam auf die nächste Krise blickt, ist Klarheit ein Gut von unschätzbarem Wert. Wer glaubt, dass Regulierung nur Belastung bedeutet, übersieht ihren Kern: Rechtliche Sicherheit ist die Basis von Vertrauen, und Vertrauen ist die Währung, ohne die kein Finanzmarkt funktioniert.
Die BaFin signalisiert mit diesem Verfahren auch: Die Tür zur Mitgestaltung ist offen. Es liegt nun an der juristischen Community, an Anwälten, Wissenschaftlern und Praktikern, diesen Raum zu nutzen – nicht nur als Kritiker, sondern als Gestalter. Vorschläge zu machen, Interpretationshilfen zu geben, Brücken zwischen Norm und Praxis zu bauen, das ist nicht nur Beruf, sondern Verantwortung.
Am Ende geht es nicht allein um Institute und deren Pflichten, sondern um die gesellschaftliche Dimension von Finanzmarktstabilität. Jede klare Regel, jede saubere Abgrenzung, jede konsistente Vorgabe schützt nicht nur Anleger, sondern auch das Fundament einer Wirtschaft, die auf Vertrauen in die Finanzarchitektur angewiesen ist.
Oder, um es zugespitzt zu sagen: Unklarheit mag der Motor für Streit sein – aber sie ist der Todfeind von Stabilität. Deshalb gilt: Nur wer rechtliche Sicherheit schafft, kann ökonomische Stärke sichern.