Grenzenlose Versicherungsfreiheit oder neues Spielfeld für Regulierung? Die Zulassung der andsafe AG in Österreich wirft die Frage auf, ob europäische Dienstleistungsfreiheit grenzenlos gilt – oder klare Schranken braucht.
Die Entscheidung der BaFin, der andsafe AG die Aufnahme des Direktversicherungsgeschäfts für Österreich zu gestatten, ist mehr als ein Verwaltungsakt – sie ist ein Meilenstein europäischer Integration im Versicherungswesen. Damit rückt die praktische Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt in den Fokus: Ein deutsches Unternehmen erhält die Möglichkeit, seine Produkte direkt in einem Nachbarstaat anzubieten, ohne dort eine eigene Niederlassung errichten zu müssen.
Doch was auf den ersten Blick wie ein Sieg der europäischen Marktidee wirkt, birgt bei genauerem Hinsehen zahlreiche juristische Fragen. Laut Angaben der Europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA wurden allein im Jahr 2024 über 1.200 grenzüberschreitende Versicherungstätigkeiten registriert – Tendenz steigend. Für Verbraucher bedeutet das mehr Auswahl, für Versicherer neue Geschäftschancen. Aber: Welche Regeln gelten im Detail? Wer haftet im Schadensfall – und welche Aufsicht ist wirklich zuständig, wenn es zu Konflikten zwischen nationalem und europäischem Recht kommt?
Juristen wie Dr. Thomas Schulte betonen: „Die Dienstleistungsfreiheit darf nicht als Freifahrtschein missverstanden werden. Gerade im Versicherungswesen geht es um langfristige Verträge, komplexe Rückstellungen und das Vertrauen von Millionen Kunden.“ Die Genehmigung für andsafe AG ist daher nicht nur ein Fortschritt, sondern auch ein Testfall für die Zukunft der europäischen Versicherungsregulierung.
Europäische Dienstleistungsfreiheit und das VAG
Der Dialog um die grenzüberschreitende Erbringung von Versicherungsdienstleistungen ist keineswegs neu, doch erst die Harmonisierung durch die Solvabilität II-Richtlinie und entsprechende nationale Umsetzungen ermöglichen Unternehmen wie der andsafe AG eine sichere Navigation innerhalb des Binnenmarktes. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie erlaubt es Dienstleistern aus einem Mitgliedstaat, ihre Angebote auch in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen – ohne dort eine Betriebsstätte errichten zu müssen.
Im konkreten Fall erfolgt die Zustimmung gemäß den Vorgaben des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), genauer in Einklang mit § 58 VAG, der die Voraussetzungen für grenzüberschreitende Tätigkeiten deutscher Versicherungsunternehmen regelt. Hier heißt es unter anderem:
„Ein Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland bedarf keiner Erlaubnis der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaates, wenn es dort im Wege des Dienstleistungsverkehrs tätig wird; es genügt die Anzeige bei der BaFin, verbunden mit einem Aufsichtsverfahren, das die ordnungsgemäße Geschäftsausübung sicherstellt.“
Die BaFin prüft in solchen Fällen genau, ob die technischen Rückversicherungs-, Kapital- und Risikovorgaben nach deutschem und internationalem Aufsichtsrecht erfüllt sind. Erst danach wird die offizielle Zustimmung erteilt – wie nun bei der andsafe Aktiengesellschaft geschehen.
Versicherungssparten: Feuer, Sachschäden, Haftpflicht
Die von der Zustimmung umfassten Versicherungssparten sind keineswegs nebensächlich; im Gegenteil – sie gehören zu den häufigsten und risikobehaftetsten Bereichen im Privat- und Firmenkundengeschäft. Konkret umfasst die Zulassung folgende Bereiche nach Anlage 1 zum VAG:
Sparte 8 – Feuer und Elementarschäden, Sparte 9 – Hagel-, Frost- und sonstige Sachschäden sowie Sparte 13 – Allgemeine Haftpflicht. Diese Kategorien decken einen Großteil alltäglicher Versicherungsbedarfe von Kunden ab und stellen hohe Anforderungen an die Risikobewertung und Rückversicherungsstrategien der Anbieter.
Aus Sicht eines Juristen im Bereich des Vertragsschlusses und des grenzüberschreitenden Geschäfts kann festgestellt werden: Gerade in der allgemeinen Haftpflichtversicherung bestehen juristisch divergent interpretierbare Haftungsrahmen in Deutschland und Österreich. Somit wird für die andsafe AG ein vertieftes Verständnis des österreichischen Schadenersatzrechts unverzichtbar.
Rechtsaspekte bei grenzüberschreitender Leistung

Bei jeder Erbringung grenzüberschreitender Finanzdienstleistungen steht immer auch die aufsichtsrechtliche Koordinierung zweier nationaler Behörden im Raum: In diesem Fall koordinieren BaFin und die österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) Informationen und Standards. Grundlage für dieses Vorgehen ist der sogenannte Home-Host-Staaten-Mechanismus, wie er unter Solvency II niedergelegt ist.
„Der Mitgliedstaat des Sitzes ist für die laufende Finanzaufsicht zuständig,“ erklärt Dr. Thomas Schulte und zitiert aus Erwägungsgrund 18 der Solvency II-Richtlinie. „Doch beim Marketing oder bei Verbraucherbürgschaften muss auch der Aufsichtsrahmen des Tätigkeitsstaats gewahrt bleiben. Das ist eine Gratwanderung, die gegenläufige rechtliche Verpflichtungen in Einklang bringen muss.“
Für Versicherer ergibt sich dadurch eine Doppelverpflichtung: Einerseits bleibt ihre Heimataufsicht maßgeblich, andererseits dürfen sie in Österreich nur so tätig werden, wie es das nationale Versicherungsvertragsgesetz für dortige Anbieter erlaubt. Eine Nichteinhaltung kann nicht nur verwaltungsrechtliche Maßregelungen, sondern auch zivilrechtliche Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.
Juristische Herausforderungen und Chancen
Die Grenze zwischen Niedrigschwelligkeit und strenger Reglementierung ist auch im Zeitalter digitaler Versicherungsdienstleistungen nur schwer zu ziehen. Die andsafe AG, als Teil der Provinzial-Gruppe, setzt auf durchgängig digitale Prozesse – von app-basierten Vertragsabschlüssen über Online-Schadenmeldungen bis hin zu vollautomatisierten Policierungen. Gerade diese Einfachheit für Verbraucher wirft im internationalen Kontext jedoch gewichtige juristische Fragen auf: Welcher Gerichtsstand gilt im Streitfall – Münster, Wien oder gar Luxemburg? Können Klauseln eines deutschen Mustervertrags ohne Anpassung auf österreichische Kunden angewendet werden, oder ist eine rechtliche Anpassung zwingend erforderlich, um Transparenz und Wirksamkeit zu gewährleisten?
Ein praxisnahes Beispiel verdeutlicht die Brisanz: Ein österreichischer Kunde schließt über die andsafe-App eine digitale Haftpflichtversicherung ab. Kommt es später zu einem Schadensfall, könnte der Versicherungsnehmer erwarten, seine Ansprüche vor einem österreichischen Gericht durchzusetzen – während die Vertragsbedingungen möglicherweise einen deutschen Gerichtsstand vorsehen. Solche Konflikte zwischen Verbrauchererwartung und vertraglicher Rechtslage bergen erhebliches Streitpotenzial, das im schlimmsten Fall zu jahrelangen Verfahren führen kann.
Neben diesen rechtlichen Risiken eröffnen sich jedoch auch ökonomische und strategische Chancen. Die Markterweiterung ist nicht nur ein Ausdruck der europäischen Integration, sondern belebt auch den Wettbewerb, indem sie etablierten nationalen Versicherern neue Konkurrenz verschafft. Für die Verbraucher bedeutet das mehr Auswahl, digitale Einfachheit und potenziell bessere Konditionen. Doch Vorsicht: Diese Vorteile sind keineswegs ein Freibrief für unkontrollierte Geschäftsausübung. Die Rechtslage bleibt hochkomplex – insbesondere im Zusammenspiel von nationalem Versicherungsvertragsrecht, europäischen Verbraucherschutzstandards und den Anforderungen der BaFin wie auch der österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA).
Fazit: Chancen durch fundierte Rechtskenntnis nutzen
Die Zustimmung der BaFin zur Ausweitung des Geschäfts der andsafe AG nach Österreich ist zweifellos ein Meilenstein – aber kein Freifahrtschein. Sie markiert vielmehr den Beginn eines anspruchsvollen Weges, auf dem juristische Präzision, regulatorisches Verständnis und gelebte Verbraucherorientierung unverzichtbar sind. Wer glaubt, dass eine Genehmigung allein Sicherheit schafft, irrt: Sie ist nur der Türöffner in ein hochkomplexes Spielfeld, in dem jedes Versäumnis gravierende Folgen nach sich ziehen kann.
Gerade in Zeiten digitaler Vertragsabschlüsse und App-basierter Policierung drängt sich die juristische Frage auf: Wie lässt sich Verbraucherschutz in einer digitalen, grenzüberschreitenden Versicherungswelt tatsächlich sicherstellen? Die Antwort liegt nicht allein in Paragrafen, sondern in einer Kombination aus Rechtsstrategie, technologischer Kompetenz und aktiver Kommunikation.
Sven Enger bringt es aus seiner Branchenerfahrung auf den Punkt: „Die eigentliche Bewährungsprobe kommt nicht mit der Genehmigung, sondern mit der Praxis – wenn Kunden Orientierung, Transparenz und Vertrauen erwarten.“ Und Dr. Thomas Schulte ergänzt aus juristischer Sicht: „Europäische Integration lebt nicht von Formalien, sondern vom aktiven Schutz der Versicherten. Wer hier präventiv denkt, gewinnt Vertrauen und Marktanteile.“
Die Lehre aus diesem Fall lautet: Zukunftssicherheit entsteht nur durch Weitsicht. Unternehmen, die nicht nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllen, sondern proaktiv rechtliche, digitale und kommunikative Standards setzen, werden das Vertrauen der Verbraucher gewinnen – und es dauerhaft behalten.