Zustellung und Beweis – wenn ein Flügelschlag eines Schmetterlings ein Imperium zum Einsturz bringt

Im Erstgespräch:
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Dr. Thomas Schulte

Dr. Thomas Schulte ist Rechtsanwalt und Fachautor aus Berlin. Seit 1995 ist die Kanzlei erfolgreich zivilrechtlich schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Internets-, Reputations- und Wettbewerbsrecht tätig. Ich vertrete bundesweit die Interessen einzelner Anleger und arbeite zumeist via Email, Telefon oder Videomeeting für meine Mandanten. Der gute Ruf – Reputationsrecht und Beratung im Internet ist ein Arbeitsschwerpunkt.

Manchmal sind es kleinste Ereignisse, die ungeahnte Folgen haben. Schicksalshafte Folgen. Da fällt ein unscheinbares Bakterium einen Menschen an oder es wird ein Brief in den Briefkasten eingeworfen. So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings ein Imperium zum Einsturz bringt.

Der Fall: Der Berliner Unternehmer “Fritz Vergesslich” hat viel Ärger, seine Pizzeria läuft nicht mehr so und sein neues Projekt Büroservice für Friseure will und will nicht glücken. Mahnungen und sonstige hässliche Post sind daher an der Tagesordnung. Plötzlich dann ein Schlag. Seine Bank meldet sich, kündigt seine Kreditlinie und die Probleme verstärken sich. Auf den wütenden Anruf bei der Bank erfährt er den Grund: Er hat einen Schufaeintrag erhalten. Wie kam es dazu?

Zustellung der Grund für das Elend

“Fritz Vergesslich” hat einen Prozess verloren und weiß gar nichts davon. Zwar mit Mühe, aber regelmäßig hat er alle Schulden bedient. Offenbar ist die Gerichtspost verloren gegangen. Er ist sich keiner Schuld bewusst und meldet sich bei seinem tüchtigen Anwalt, der den Prozess nochmals aufnehmen und damit den negativen Schufaeintrag zur Löschung bringen soll. 

Wie ist die Rechtslage?

Die negative Eintragung in das Schuldnerregister beziehungsweise die Auskunftei der Schufa ist rechtmäßig, wenn ein Gerichtsurteil gegen “Fritz Vergesslich” rechtmäßig ergangen ist. Das ergibt aus Art. 6 Abs. 1 lit f. Datenschutzgrundverordnung in Verbindung mit dem § 31 Bundesdatenschutzgesetz.

Voraussetzung eines Gerichtsurteils (Versäumnisurteil) in Abwesenheit ist die vorherige ordnungsgemäße und rechtzeitige Zustellung einer Klage gemäß §§ 271ff. ZPO beziehungsweise die Ladung zum Termin.

Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form, § 166 I ZPO. Die Zustellung kann auf verschiedenen Wegen erfolgen, die in der ZPO geregelt sind. Im § 180 ZPO ist die Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten geregelt. “Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.” Diese Ersatzzustellung ist immer dann möglich, wenn die Person, an die die Zustellung erfolgen soll, oder ein Vertreter in den Wohn- oder Geschäftsräumen nicht angetroffen wird. Einfach gesagt legt der Postbote den Brief in den Briefkasten und vermerkt vorher auf dem Briefumschlag, wann er dies getan hat.

Wer trotz ordnungsgemäßer Ladung vor Gericht nicht erscheint, läuft Gefahr, dass gegen ihn ein Versäumnisurteil im Sinne des § 331 ZPO erlassen wird.

Wer von alledem (unverschuldet) nichts mitbekommt, hat die Möglichkeit binnen zwei Wochen gemäß §§ 233ff. ZPO die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu beantragen. Hierbei ist zu beachten, dass die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist.

Da er die Rechnung, die eingeklagt worden ist, schon vorher bezahlt hatte und alles erledigt ist, erhofft sich Fritz Vergesslich, das Urteil – nach Wiedereinsetzung – aufzuheben und den Schufa-Eintrag so löschen zu lassen. 

Das Elend mit der Beweislast

Der Brief soll ihm in den Briefkasten seiner Wohnung eingelegt worden sein. Das ist wie oben beschrieben möglich. Natürlich fällt der Bote beziehungsweise Briefträger aus, sodass der Gesetzgeber beschlossen hat, dass bezüglich der Zustellung eine Vermutung gelten soll. Wenn die Voraussetzungen der Zustellung nicht vorliegen, kann die Vermutung widerlegt werden, § 292 ZPO. 

Dies richtet sich nach den allgemeinen Beweisregeln. So können Zeugen benannt oder Urkunden eingeführt werden, die beweisen, dass eine Zustellung der Post grundsätzlich nicht erfolgt. So muss ja im Zivilprozess generell jeder, die für ihn günstigen Tatsachen beweisen. 

Ob eine Tatsache nach der Beweisaufnahme als wahr anzusehen ist, wird durch das jeweilige Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO entschieden. Das Gericht muss von der Wahrheit überzeugt sein. Die zugrunde liegenden Überlegungen und Gründe müssen dann wiederum im Urteil dargestellt werden. Das Gericht hat den gesamten Vortrag, den Inhalt der Verhandlungen sowie persönliche Eindrücke und auch den Anscheinsbeweis zu beachten. Hierbei ist ausschlaggebend, ob für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Es wird von dem Vorliegen einer Tatsache auf das Vorliegen eine andere Tatsache geschlossen.

Es ist somit festzuhalten, dass die Zustellung bei Beachtung der gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich vermutet wird. Dem liegt historisch die Zuverlässigkeit der Deutschen Post zugrunde. Des Weiteren soll die Vermutung gelten, um die Zustellung zum Regelfall zu machen. Eine Widerlegung der Vermutung ist allerdings möglich. Hierfür kann der Gegenbeweis geführt werden, wobei auf die allgemeinen Beweisregeln der ZPO zurückgegriffen wird. Im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung überzeugt sich das Gericht von der Wahrheit einer Tatsache und berücksichtigt dies im Rahmen der rechtlichen Erwägungen.

Postverluste können also extrem gefährlich werden, weil dadurch Gerichtsurteile entstehen können, die nur schwer aufgehoben werden vor Gericht. 

Tipp: Briefkasten bewachen wie ein Rottweiler seinen Fressnapf

Diese Erwägungen zeigen, dass der Briefkasten einer Wohnung bewacht werden muss wie ein Rottweiler sein Hundefutter im Fressnapf. Gefährlich sind daher unorganisierte lange Reisen, Verlassen der Wohnung bei Krankheiten ohne zuverlässigen Briefkastenbewacher. Streit unter Wohnungsgenossen ist auch gefährlich, weil jeder, der Zugriff auf die Post hat, diese auch verschwinden lassen kann. Der Autor hat im Laufe der Jahre dutzende negative Schufa-Einträge bearbeitet, die durch Streit und Lebenspartnern verursacht wurden. Da wurden Briefe einfach unterschlagen. Für solch ein Chaos haftet der Betroffene, weil wir gelernt haben, dass die Urkunde über die Zustellung regelmäßig ausreicht. Natürlich kommt viel Post trotz Zustellungsurkunde nicht an. Chaos bei den Zustellunternehmen ist dafür eine Ursache. Die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit einer Postzustellungsurkunde ist daher heute übertrieben. 

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